Nahezu jeder Mannschaftsabend auf dem Hamburger Kiez beginnt und endet hier: Die „Blaue Nacht“ in der Friedrichstraße 4, unweit der berühmten Davidwache, ist am Wochenende zentrale Anlaufstelle für alle Kicker aus der Hansestadt. Hier wird getrunken, gefeiert und über Fußball gefachsimpelt. Und über allem wacht ein Mann: Besitzer Hugo Demir, den alle liebevoll nur beim Vornamen nennen.
„Hallo, mein Freund. Wie geht es Dir?“ Mit diesen Sätzen begrüßt Hugo jeden einzelnen Gast per Handschlag. Die Mädels kriegen ein Küsschen rechts, ein Küsschen links. Ein Foto für die Galerie auf der Website darf auch nicht fehlen. „Danach fragen immer alle als erstes“, erzählt Hugo. Unbekannte lässt er nur in Begleitung eines Stammgastes rein. Sind ihm alle Gesichter fremd – keine Chance. „Wir alle sind wie eine große Familie“, sagt er.
Die große Patchwork-Familie der Hamburger Fußballer hat in der „Blauen Nacht“ tatsächlich so etwas wie ein gemeinsames Zuhause gefunden. Seit Jahrzehnten treffen sich viele Kicker nach ihren Spielen – einige auch davor – in dem urigen Schuppen, um Niederlagen am Tresen in Siege zu verwandeln, um mit Schiedsrichtern über Platzverweise zu diskutieren oder um ihre Verträge auf Bierdeckeln zu verlängern.
Fotos mit Magath und Rehhagel
"Wir alle sind wie eine große Familie"
In den 1980er und 1990er Jahren war allerdings nicht Hugo das Oberhaupt dieser bunten Familie, sondern sein Bruder Isi. „Er hat fast 40 Jahre auf dem Kiez gearbeitet“, verrät Hugo. Im Oktober 2005 starb Izmail Kiziltan aber überraschend an einem Herzinfarkt. Sein Bruder übernahm den damaligen Schuppen, unweit des heutigen Ladens. Doch nach nur acht Monaten setzte die Vermietung Hugo vor die Tür. Plötzlich waren er und alle Kicker heimatlos. Mehr als ein Jahr lang suchte Hugo nach einem neuen Standort und fand ihn schließlich 2007 in der Friedrichstraße, neben Pilsbörse und Venus Bar.
Vom Charme alter Tage hat der Laden nichts verloren. An den Wänden hängen unzählige Bilder von Isi und Hugo in den Armen von Prominenten wie Felix Magath, Ralf Möller oder Otto Rehhagel. Dazu unzählige Fotos von feuchtfröhlichen Abenden, Mannschaftsporträts vom FC St. Pauli, Altona 93 oder dem SV Curslack-Neuengamme. Von der Decke hängen Schals und Trikots von fast allen Hamburger Klubs.
„Mein Vater hat die alle geschenkt bekommen“, sagt Anil Demir. Hugos Sohn hilft in der Kneipe seit er 18 ist. Lange Zeit wollte der 25-Jährige Boxer werden, doch eine Herzmuskelentzündung setzte seiner Karriere ein frühes Ende. Auf sein Lieblingsstück im gesamten Laden angesprochen, hat Anil daher auch eine schnelle Antwort: „Der Handschuh von Muhammad Ali.“ Das Management des verstorbenen Vorzeigesportlers war – wie viele andere Boxgrößen – mit Isi befreundet und hatte ihm einst das Prunkstück geschenkt. „Viele wollten uns den Handschuh schon abkaufen, aber das machen wir nicht“, verspricht Hugo. Auch das Vereinsmuseum des HSV soll schon wegen ganz bestimmter Bilder angefragt haben.
Früher waren auch häufiger Kicker des FC St. Pauli in der „Blauen Nacht“. „Sie haben mit mir hinter dem Tresen gearbeitet“, erzählt Hugo. Doch das habe sich geändert. Die Amateure sind ihrer Kultkneipe aber seit Jahrzehnten treu. Damit diese noch lieber zu ihm kommen, hat die Kiezgröße schon 2005 damit begonnen, Spiele seiner Gäste zu filmen. Fast jedes Wochenende ist der 55-Jährige unterwegs, oft ohne Schlaf, direkt aus seinem Laden. „Ich gucke im Plan, welches Spiel mir gefällt und fahre dann hin.“ Mittlerweile laden ihn aber auch viele Teams per Nachricht an seine Facebook-Seite ein.
Dass Hugo auch ein Faible für das Filmen hat, kommt nicht von ungefähr. In der Türkei war er Theaterdirektor und Musiker. In Hamburg arbeitete er elf Jahre lang in einem Jugendzentrum. Gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen entwarf er Theaterstücke. Kreativität findet ihren Weg. „Wenn die Spieler zu mir in den Laden kommen, wissen sie oft, dass ich ihr Spiel gefilmt habe und wollen es sehen“, sagt er.
Dafür wissen die wenigsten, dass Hugo in Wirklichkeit gar nicht Hugo heißt. Seinen richtigen Namen verrät er auch nur ungern. „Als wir nach Deutschland gekommen sind, hat meine Frau gesagt, dass mein Name für die Menschen hier zu schwer ist. Dann hat sie gesagt: ‚Ab heute heißt du Hugo‘.“ Selbst seine Frau nennt ihn so. „Nur wenn sie wütend ist, sagt sie meinen richtigen Namen“, erzählt Ugur Demir und lacht.
Autor/-in: Matthäus Kosik