Jeder Trainer kennt sie, jeder Trainer fürchtet sie. Die 90 Minuten vor Trainingsbeginn sind für einen angehenden Fußball-Lehrer auf Kreisebene gefährlicher und nervenaufreibender als ein hergeschenkter 2:0-Vorsprung oder ein nörgelnder Vorstand. Es ist die Zeit, in der Trainer lernen zu improvisieren und bisweilen der Wunsch entsteht, die eigenen Spieler mal über die Barriere zu grätschen. Es ist die Zeit der Absagen.
Absagen fürs Training oder das Spiel sind Klassiker im Amateurfußball. Mal überraschend, mal vorhersehbar, mal ärgerlich, mal skurril, manchmal ehrlich, manchmal grenzdebil, im Nachhinein oft lustig. FUSSBALL.DE hat sich dem Phänomen eingehender gewidmet und an einer Einordnung versucht. Die genannten Beispiele sind alle aus dem Leben gegriffen und basieren auf Tatsachen. Die Namen sind dem seit 20 Jahren im Aktivenfußball tätigen Autoren bekannt.
Das Feierbiest: Hat in der Jugend von seinem Vater gelernt: „Wer saufen kann, kann am nächsten Tag auch spielen.“ Merkt leider immer wieder, dass das nicht so einfach ist – also das mit dem Spielen. Was gelegentliche Ausfälle zur Folge hat. „Trainer, ich bin seit heute Morgen krank.“ Welcher Art Krankheit, erfährt der Coach dank der nächtlichen Partyfotos auf Facebook und in der Whats-App-Gruppe.
Der Urlauber: Glänzt meist durch formidables Timing. Der fortgeschrittene Urlauber zeichnet sich dadurch aus, dass er, Variante A, die komplette Vorbereitung verpasst oder, Variante B, die komplette Vorbereitung mit all ihren Hütchenläufen konsequent durchzieht, um sich dann pünktlich zum Saisonstart an den Strand zu knallen und seine verloren gegangene Plautze am Büffet im Sturm zurückzuerobern. Auch stark: Von Sonntag bis Sonntag wegfahren, um mit einer Woche Urlaub gleich zwei Spiele zu verpassen.
Der erfahrene Urlauber bevorzugt außerdem Last Minute. Nicht unbedingt beim Buchen, aber beim Kommunizieren. „Trainer, ich wollte Dir noch meinen Urlaub mitteilen.“ Trainer: „Wann bist Du weg?“ Spieler: „Ab morgen.“ Trainer (stöhn, seufz): „Wie lange?“ Spieler: „Vier Wochen.“ Trainer (keuch, würg): „….“
Fünf Wochen später, der gleiche Trainer, der gleiche Spieler. „Trainer, ich muss mit Dir reden.“ Trainer (augenrollend): „Was gibt’s?“ Spieler (ernsthaft verwundert): „Warum spiele ich nicht von Anfang an?“ Trainer (kopfschüttelnd, fäusteballend): „….“
"Trainer, mein Vater ist mir über den Fuß gefahren"
Der Pechvogel: Ihm passieren Dinge, die eigentlich nicht passieren können. So etwas wie: „Mein Vater ist mir mit dem Auto über den Fuß gefahren.“ Oder: „Habe mir Schien- und Wadenbein gebrochen, weil ich beim Fußballspielen auf der Straße gegen die Laterne getreten habe.“ Der Pechvogel zeichnet sich dadurch aus, dass in der Mannschaft nur ihm Dinge dieser Art zustoßen. Er ist immer der Erste, der im Training versehentlich der Ball gegen den Kopf oder in die Weichteile bekommt. Heimliche Ikone der Pechvögel ist der frühere spanische Nationaltorwart Santiago Canizares, der die WM 2002 verpasste, weil ihm im Badezimmer das Fläschchen mit Rasierwasser heruntergefallen war und er anschließend in die Scherben trat.
Der Familienmensch: Zelebriert genussvoll jeden Geburtstag – auch den der seit Jahren verstorbenen Oma. Feiert Papas 57. durchaus dreimal innerhalb einer Woche. Und wenn die Ehefrau oder Freundin (oder beide) fragen, wann sie die Familie einladen sollen, lautet die bestimmte Antwort: „Nimm ruhig den Sonntag, Schatz.“
Der Beschäftigte: Muss arbeiten. Immer. Kann nicht pünktlich sein. Nie. Weiß seinen Schichtplan auswendig. Den Trainingsplan muss er sich gefühlte zwölfmal schicken lassen. „Wann ist diese Woche nochmal Training?“ Handelt es sich beim Beschäftigten um einen jungen Spieler, klarer Anwärter auf den Titel "Azubi des Jahres". Macht Überstunden. schiebt Schichten, steht im Stau und muss fiese Berichtshefte ausfüllen. Machmal alles gleichzeitig - und manchmal alles im Strandbad.
Der Ehrliche: Einer, den man gerne haben muss. Könnte es sich einfach machen und die Taktik des Beschäftigten wählen. Bleibt stattdessen bei der Wahrheit: „Muss noch meine Reifen wechseln.“ „Muss heute Abend im Garten helfen.“ Habe meine Steuerberaterin da“ (ob tatsächlich für die Steuer, ist an dieser Stelle unwichtig). Oder besonders mutig: „Bin heute zu faul.“
Der Verpeilte: Verschläft bisweilen das Training – auch abends um 19 Uhr. Oder vergisst es einfach. „Wie, wir hatten Donnerstag Training?“ Wer soll daran bitte denken, wenn die Pläne nur über Mail, Vereins-Homepage und Facebook vorliegen und nebenbei ausgedruckt in der Kabine hängen?
Im Winter anfällig für festgefrorene Handbremsen, die die Fahrt zum Training verhindern. Der Verpeilte ist außerdem prädestiniert dafür, bei einem Auswärtsspiel erst zum Abpfiff zu erscheinen, weil er gedacht hat, es wäre Heimspiel. Kann durchaus auch mal ohne Fußballschuhe dastehen, weil diese von Mama aus Versehen entsorgt worden sind.
Der Liebeskasper: Verliert urplötzlich sein Herz. Vielleicht nur für ein Wochenende, gefühlt aber meist fürs Leben. Fußball spielt dann keine Rolle mehr. Der Liebeskasper möchte seine Flamme gerne zu Mannschaftsfeiern mitbringen. Er ist auch daran zu erkennen, dass seine Stimme am Handy einen verstörend-säuselnden Klang annimmt, sobald die Herzdame dran ist. Zwickmühle für den Trainer: Er kann nicht auf eine Trennung hoffen. Denn die stürzt den Liebeskasper in orientierungslose Verzweiflung. „Trainer, ich habe erst einmal den Kopf nicht frei für Fußball.“
Der Undefinierbare: Hebt Absagen auf ein neues Level und liebt Überraschungsmomente, die sogar erfahrenste Trainer sprachlos machen. Ein Beispiel aus dem hessischen Fußball, so geschehen in der vergangenen Saison: „Trainer, ich kann nicht spielen, ich bin entführt worden.“ Lösegeldforderungen gab es keine. Es handelte sich um ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk, einen Überraschungsausflug mit Kumpels. Das Geiseldrama war nach einem Wochenende beendet.
Welche Typen kennt Ihr? Und welche besonderen Absagen habt Ihr schon erlebt? Schreibt uns an redaktion@fussball.de - oder über die Kommentarfunktion unter der News.
Autor/-in: Jochen Breideband