Neulich hat Tina Wunderlich bei einem Besuch bei den Eltern im Siegerland ihr Handy liegen gelassen. Ein paar lange Tage war sie nicht erreichbar, ein paar lange Tage herrschte Funkstille. „Das war gar nicht so schlecht, mal ein bisschen Ruhe zu haben“, sagt die 37-Jährige. Aber dann merkte sie auch, wie abgeschnitten man von vielen sozialen Kontakten ist, wie sehr das Mobiltelefon doch schon zum Alltag gehört. Inzwischen ist Tina Wunderlich wieder erreichbar. Sie fühlt sich so deutlich besser.
Sie erzählt das alles auf dem Weg zum Training. Es ist ein kalter Winterabend, aber in ein paar Tagen geht die Rückrunde wieder los, und Tina Wunderlich, Patrizia Barucha und die anderen Mädels von Eintracht Frankfurt bereiten sich auf die Spiele vor. Am Sonntag geht es gegen den 1. FC Nürnberg , so wirklich gut stehen die Frankfurter Frauen in der Regionalliga nicht da, 13 Punkte, Platz neun, bei zwölf Mannschaften, vier Punkte Vorsprung auf einen Nichtabstiegsplatz. Sehr komfortabel ist das nicht, aber Trainer Heiko Rosenfelder sagt beinahe trotzig: „Wir fühlen uns nicht im Abstiegskampf."
Abstiegskampf. Das ist auch so ein Wort, das eigentlich nicht zum Vokabular der Tina Wunderlich gehört. Die Frau ist anderes gewohnt: Zweimal Europameisterin, Vize-Weltmeisterin, 34 Länderspiele, drei UEFA-Cup-Siege, sieben Mal Deutsche Meisterin mit dem 1. FFC Frankfurt, dazu ist Tina Wunderlich die „Rekordpokalfrau“: In zehn Pokal-Endspielen in Folge stand sie immer jeweils 90 Minuten lang auf dem Rasen. Und eine olympische Bronzemedaille hat sie gewonnen, 2000 in Sydney, aber so gern wird sie nicht daran erinnert.
Lautstark auf dem Platz
„Es wird viel robuster gespielt, es ist viel härter als in der Bundesliga“
Sydney - das war eine der schwärzesten Stunden in ihrer beeindruckenden Karriere: Im Halbfinale verlor die DFB-Elf gegen Norwegen durch ein Eigentor von ihr. „Da wollte ich am liebsten im Erdboden versinken. Damit hatte ich lange zu kämpfen. Doch solch ein Patzer ist auch prägend“, sagt Wunderlich jetzt mit einigem Abstand. Die deutsche Elf gewann noch das Spiel um Platz drei, 2:0 gegen Brasilien, für Wunderlich war das damals aber nur ein schwacher Trost. 19 Jahre lang spielte sie beim 1. FFC, sie erlebte die goldenen Zeiten des Frankfurter Frauenfußballs hautnah mit, schrieb selbst das eine oder andere Kapitel. Im Jahr 2002 etwa half sie mit, das Triple zu gewinnen.
Und so eine hochdekorierte Fußballerin kickt jetzt noch in der Regionalliga? In der dritten Liga? Mit 37 Lenzen? Warum nur? „Weil es mir Spaß macht und die Knochen noch halten“, sagt sie. Fußball bereite ihr einfach Freunde, selbst zum Training, das in der Vorbereitung viermal in der Woche angesetzt ist, kommt sie mit einem Grinsen im Gesicht. Da ist Tina Wunderlich eine große Aufnahme. Viele Fußballerinnen hören viel, viel früher auf, hängen die Kickstiefel vorzeitig an den Nagel. „Wahrscheinlich liegt es daran, dass es für älter gewordene Kickerinnen kaum Möglichkeiten gibt zu spielen.“ Bei den Männern gibt es die Ü 30-Teams, die SoMa-Mannschaften und die Alten Herren, genug Gelegenheiten, nur so zum Spaß zu bolzen.
Im jungen Regionalliga-Team von der Frankfurter Eintracht, bei der es Frauenfußball ohnehin erst seit 2004 gibt, ist Wunderlich gemeinsam mit Patrizia Barucha, die ebenfalls lange in der Bundesliga beim FFC und dem FSV gespielt hat, die absolute Persönlichkeit. Und Wunderlich hält sich da auch nicht vornehm zurück. Lautstark wie eh und je dirigiert sie ihre Abwehr, sie gibt Kommandos, gibt den Ton an. „Wenn Tina da ist“, sagt Trainer Rosenfelder, „dann ist Zug drin im Team.“ Und zu ihr schauen die jungen Spielerinnen auf, teilweise sind sie 15, 20 Jahre junger, sie nehmen an, was die erfahrene Innenverteidigerin sagt. „Ich will mithelfen, damit sich unser junges Team weiterentwickelt“, sagt sie, die seit zwei Jahren bei der Eintracht am Riederwald spielt.
Auge statt Tempo
Tina Wunderlich ist ein echtes Vorbild. „Sie haut sich rein, zeigt immer vollen Einsatz“, lobt Heiko Rosenfelder. „Von ihrer Präsenz auf dem Platz und ihrer spielerischen Klasse können sich viele eine Scheibe abschneiden.“ Dazu lässt sie sich auch im Training nicht hängen. Für Tina Wunderlich, deren ältere Schwester Pia, ebenfalls Nationalspielerin, die Karriere schon beendet hat, ist es selbstverständlich, das volle Übungsprogramm mitzumachen. Eine Sonderbehandlung will sie nicht, auch wenn sie diesen Bonus dank ihrer Verdienste sicher verdient hätte. „Ich will mir nichts rausnehmen“, sagt Wunderlich, die im Brotberuf in der Personalabteilung beim Flughafenbetreiber Fraport arbeitet.
Für Trainer Heiko Rosenfelder ist der Routinier in der zentralen Abwehr mehr als nur der verlängerte Arm. „Ein bisschen denkt sie schon wie ein Trainer.“ Und dass die Eintracht in der Hinrunde nicht über Platz neun hinauskam, hat sicherlich auch damit zu tun, dass Tina Wunderlich einige Spiele wegen einer Sprunggelenksverletzung verpasst hat und nur sechsmal hinten dicht hielt. Von Oktober bis Mitte Dezember war die 37-Jährige nicht dabei, man hat es der Eintracht angemerkt.
Natürlich gibt es auch für eine Spielerin, die so viel erlebt hat wie Tina Wunderlich, in der Regionalliga Situationen, die unangenehm sind. „Man wird ja nicht schneller im Alter“, sagt sie lachend. Zuweilen sind die jüngeren Gegenspielerinnen deutlich flinker und schneller auf den Beinen, aber mit Routine, gutem Stellungsspiel und Auge macht sie ein etwaiges Tempodefizit locker wett. Und bislang hat es noch kaum eine Gegenspielerin versucht, die prominente Innenverteidigerin mittels Beinschuss vorzuführen. „Das versuchen eher meine eigenen Mitspielerinnen im Training“, sagt Tina Wunderlich lachend. Ohnehin ist das spielerische Niveau in der Regionalliga überschaubar. „Es wird viel robuster gespielt, es ist viel härter als etwa in der Bundesliga, wo deutlich mehr auf Technik und Taktik wert gelegt.“ Aber das hat sie ja vorher gewusst.
Nun hat sie sich im Herbst ihrer erstaunlichen Karriere die Vermeidung des Abstiegs mit der Eintracht auf die Fahne geschrieben. Sollte sie gesund bleiben, dürfte das zu schaffen sein. Und im Sommer will sie dann wieder überlegen, ob sie noch eine Saison dranhängt. „Fußball macht mir immer noch einen Riesenspaß. Und wenn die Knochen halten, warum nicht?“
Autor/-in: Thomas Kilchenstein