Eigentlich muss Marcell Jansen an diesem kühlen Freitagabend beim TuS Osdorf bereits die Entscheidung für den Hamburger SV III herbeiführen. Der 45-malige deutsche Nationalspieler kommt in der Schlussminute frei zum Schuss. Doch Jansen (34) zögert einen Moment zu lange, sodass der Abschluss des HSV-Präsidenten, der seine Profikarriere 2015 beendete und seit rund zwei Jahren für das Amateurteam des Zweitligisten aufläuft, noch geblockt werden kann. Der Ball fällt Piotr Trochowski vor die Füße. "Trotsche", wie der ehemalige Nationalspieler gerufen wird, zögert nicht lange. Mit einer technisch formvollendeten Direktabnahme mit dem rechten Fuß trifft der 35-Jährige zum 3:1-Endstand für den Aufsteiger in der Oberliga Hamburg.
Alle seine Teamkameraden fallen dem 35-maligen Nationalspieler anschließend um den Hals. Selbst Keeper Tino Dehmelt ist aus seinem Kasten in Richtung Trochowski gesprintet, um den Mittelfeldmann zu seinem Treffer bei seinem Comeback im Amateurfußball zu gratulieren. Bald darauf ertönt der Abpfiff. "Wir singen Humba, Humba, Humba, Täterä", stimmen die HSV-Fans an, während sich ihre freudetrunkenen Helden auf den Kunstrasen setzen. Nur Trochwoski kommt nicht so recht runter. Die Knie schmerzen ihn.
"Der Oberschenkel hat direkt zugemacht"
Wegen eines Knorpelschadens hatte er seine Profi-Laufbahn 2016 nach einem Engagement beim Bundesligisten FC Augsburg beenden müssen. Zudem, so gibt der Vize-Europameister von 2008 und WM-Dritte von 2010 offen zu, habe er sich bereits wenige Sekunden nach seiner Einwechslung in der 71. Minute eine Zerrung zugezogen. "Der Oberschenkel hat direkt zugemacht. Man merkt, dass man nicht mehr der Jüngste ist, jetzt muss ich erst einmal pausieren", gibt der langjährige HSV-Profi (von 2005 bis 2011) anschließend im Gespräch mit den primär wegen ihm zahlreich zum Mittelfeld-Duell der Hamburger Stadtliga erschienenen Pressevertretern zu Protokoll.
"Man merkt, dass man nicht mehr der Jüngste ist"
"Macht mal Platz da", ruft Christian Rahn den Medienschaffenden zu und nimmt Trochowski mit einem Lächeln im Gesicht liebevoll in den Arm. Ex-Nationalspieler Rahn (fünf A-Länderspiele) coacht die Dritte des HSV gemeinsam mit dem Polizeibeamten und ehemaligen Regionalliga-Kicker Marcus Rabenhorst. "Über seine Qualitäten brauchen wir gar nicht viel zu sprechen. Er sagt, dass es ihm extrem viel Spaß macht in dieser Truppe. Von einmal Training in der Woche, von dem er am Anfang gesprochen hat, sind es jetzt schon zwei- bis dreimal geworden", berichtet Rahn. "Wir haben gesehen, was er im Training angeboten hat, von daher war es klar, dass er irgendwann dann auch die entscheidenden Tore macht", sagt Rabenhorst, der Trochowski für einen "überragenden Einstand" lobte.
"Es ist schön in den Amateurfußball zurückzukommen"
Eigentlich wollte Trochowski gar nicht mehr regelmäßig gegen den Ball treten. Dann aber stand das Abschiedsspiel für seinen früheren HSV-Teamkameraden Rafael van der Vaart Mitte Oktober des vergangenen Jahres auf dem Programm und Trochowski suchte eine Möglichkeit, sich in Form zu bringen. Ein Aufsichtsratsmitglied des Zweitligisten stellte den Kontakt zur dritten Mannschaft her, bei der er sich anschließend so wohl fühlte, dass er sich schließlich dafür entschied, in der Fünften Liga ein Comeback zu feiern. "Mein Gott, ich bin hier aufgewachsen in Hamburg, habe immer auf Grand gespielt", erinnert er sich an seine Anfänge bei der SpVgg Billstedt-Horn: "Es ist schön in den Amateurfußball zurückzukommen. Es macht Spaß. Meine drei Brüder haben hier auch schon gespielt. Der Kreis schließt sich. Es war wie ein Freitagskick mit Freunden", sagt der Ex-Nationalspieler.
36 Minuten vor dem Anpfiff kommt der Ex-Nationalspieler aus der Kabine - als einer der letzten Spieler seines neuen Teams. Einige der 570 Zuschauer sind verwundert ob seiner Reservistenrolle. "Es reicht noch für eine halbe Stunde, maximal", sagt Trochowski und spielt sich bald darauf ein paar Bälle mit Jansen hin und her, der ebenfalls nicht ganz fit ist und daher auch erst einmal auf der Bank sitzt. Die Begegnung beginnt für den HSV schlecht. Die Hausherren gehen nach einem Ballverlust der Gäste im Mittelfeld in der 30. Minute durch Daniel Tönges in Führung. Ihre vorher via Facebook an den treuen Anhang verbreitete Absicht: "Wir brauchen keine großen Namen. Wir haben Euch. Auf geht's Blomkamp", scheint aufzugehen. Doch lediglich 180 Sekunden später kann der HSV durch ein Eigentor von Robin Schmidt ausgleichen.
"Den einen oder anderen mache ich schon noch rein"
Kurz nach dem Seitenwechsel bringt Sepehr Nikroo die Gäste in Front. Trochowski ist zu diesem Zeitpunkt bereits hinter dem eigenen Kasten und dehnt sich ein bisschen. In der 70. Minute kommt "Trotsche" rein. Nun sind eigentlich alle Augen am Blomkamp auf den einstigen Profifußballer gerichtet. Seine erste Aktion ist noch ein verlorener Zweikampf. Im Anschlusss aber zeigt Trochowski seine ganze Klasse, verteilt klug die Bälle und krönt sein Oberliga-Debüt mit dem Tor zum 3:1. "Das kann ich ja, das habe ich ja 20 Jahre lang gemacht. Den einen oder anderen, der mir vor die Füße fällt, mache ich dann schon rein", sagt Trochowski.
Sprachs und ging zum Feiern mit seinen Teamkameraden, denen er in der Vorwoche bereits Pizza und ein paar Getränke nach seinem Einstand im Freundschaftsspiel gegen den SC Weiche Flensburg II (3:1) spendiert hatte - wie es sich für einen richtigen Amateurfußballer gehört. "Er zeigt keine Starallüren. Stars gibt es bei uns aber auch nicht, wir sind eine Mannschaft. Es ist echt cool, dass er bei uns ist und wirklich krass, mit ihn zusammenzuspielen", sagt Angreifer Manuel Brendel über seinen neuen Teamkollegen. Und auch Osdorfs Coach Philipp Obloch freut sich trotz der Pleite seiner Mannen über den prominenten Zugang in der Oberliga Hamburg: "Ich glaube, er tut dem HSV gut. Und heute sind bestimmt 100 Zuschauer mehr wegen ihm hierhier gekommen."