Fußball-Weisheit #90: "Wir haben gar nicht so viele, die Musik machen. Das traut sich immer keiner, weil man direkt beleidigt wird." (Freiburg-Stürmer Nils Petersen gibt Einblicke in die SC-Kabine )
Da klimpert’s kräftig im Phrasenschwein. Die Verantwortung für die Kabinen-Beschallung ist bei vielen Mannschaften ein heiß diskutiertes Thema. Spätestens ab dem Zeitpunkt, ab dem sich die Truppe ihre Dienst-Uniform anlegt, beginnt die heiße Phase der mentalen Vorbereitung auf das bevorstehende Spiel. Da füttere ich gern noch ein zweites Mal das Phrasenschwein: Fußball ist eben zu einem Großteil Kopfsache. Und wer sich in den berühmten Tunnel begeben möchte, kommt mit dem richtigen Sound auf den Ohren besonders schnell dorthin. Es braucht keinen renommierten Sportpsychologen, um das nachvollziehen zu können. Wenn Wladimir Klitschko zum berühmten "Can’t stop"-Gitarrenriff von den "Red Hot Chili Peppers" in Richtung Ring marschiert, wären selbst viele seiner Fans in der Arena bereit, im Ring die Fäuste fliegen zu lassen. Auf dem Fußballplatz wird die aufgebaute Anspannung der Spieler zwar nicht durch fliegende Fäuste entladen, doch auch hier ist die Motivation von entscheidender Bedeutung.
Einerseits ist es natürlich Aufgabe des Trainers, seine Schützlinge vor dem Spiel heiß zu machen und sie durch eine mitreißende Ansprache mit höchster Konzentration und maximalem Siegeswillen auf den Rasen zu schicken. Andererseits steht der Kabinen-DJ in der Pflicht, beim Umziehen für die passende Song-Auswahl zu sorgen, die möglichst alle Kollegen mitnimmt. Das ist durchaus eine Herausforderung, wie Nils Petersen schon andeutete: Eine Mannschaft besteht genauso aus 18- wie aus 35-Jährigen, dazu sind vor allem die Bundesliga-Mannschaften ein bunter Haufen aus aller Welt. Da ist es nur logisch, dass nicht jeder der gleichen Playlist auf Spotify folgt. Alles Geschmackssache eben.
Was in dem einem Spieler den Fokus schärft und die Kampfeslust weckt, kann bei seinem Sitznachbarn in der Kabine für Stress und Kopfschütteln sorgen: "Hilfe! Wenn du nicht sofort den Krach ausmachst, kannst du dich mit deiner Box im Geräteschuppen umziehen!" Bei Kreisliga-Teams treten ähnliche Probleme auf. Auch hier ist es eine Mammutaufgabe, es allen recht zu machen – vom jungen Battle-Rap-Fan bis hin zum alteingesessenen AC/DC-Anhänger. Blicken wir an dieser Stelle auf die unterschiedlichen Kabinen-DJ-Typen, die in den Amateurfußball-Katakomben an den Plattentellern stehen.
"Wenn du nicht sofort den Krach ausmachst, kannst du dich mit deiner Box im Geräteschuppen umziehen!"
Der Hip-Hop-Head: Wenn in der Dorf-Disco eine "Black Night XXL" angekündigt wird, hat er sich schon Wochen vorher seinen Platz auf der Gästeliste gesichert. Seine musikalischen Wegbegleiter haben klangvolle Namen wie Capital Bra, Farid Bang oder Haftbefehl. Während sich die Mannschaft also am Dorfsportplatz im bayerischen Niemandsland umzieht, pumpen über die Boxen verschiedene Songs über die "Ghettos" der deutschen Großstädte, in denen man sich angeblich nur mit Drogentickerei über Wasser halten könnte. Während die meisten der jungen Spieler bei dieser Musik ihren mentalen Bossmodus hochfahren, tun sich vor allem die älteren Mitspieler schwer, bei diesen Beats ihren Swag aufzudrehen.
Der Metal-Freak: Den Gegenpart zum Hip-Hop-Fan stellt dieser Kabinen-DJ dar. Er trägt sein "Wacken"-Festival-Shirt aus dem 1999 noch stolz bei jedem Spiel unter dem Trikot. Sein Mix besteht aus "dem härteren Kram" von Bands wie "Iron Maiden", "Metallica" und "Motörhead". Erst bei dreiminütigen Drum-Solos und Hochgeschwindigkeits-Gitarrenriffs kommt er auf Temperatur. Wichtig dabei: Die Lautstärke muss dabei so aufgedreht werden, dass man nicht mal mehr das Wort seines Sitznachbarn versteht. Der Coach läuft schließlich stilecht zu "Hier kommt die Sonne!" von "Rammstein" in die Kabine ein.
Der Exotische: In vielen Top-Clubs der Welt haben die Südamerikaner mit ihrem Samba-Flair die Hoheit über die Musikauswahl. Unser Exot nimmt sich diese Rhythmen als Vorbild. Es spielt dabei auch keine Rolle, dass keiner im Team auch nur ein Wort des Songs "Despacito" versteht – Hauptsache, man kann schon vor der Partie lasziv die Hüften kreisen lassen und so schon frühzeitig mit dem Warm-Up beginnen. Am besten funktioniert dieses Vorhaben, wenn die Choreografie vorgegeben ist. Dank der Instagram-Accounts von Neymar und Co. wissen dann auch alle Kreisliga-B-Akteure, wie man sich auch als Nordlicht stilecht zu "Nossa, nossa…" bewegt.
Der Film-Freak: Er setzt auf große Melodien und große Worte. Seine Playlist ist gespickt mit den berühmtesten Hollywood-Soundtracks. So fühlt sich die Mannschaft in der Kabine zeitweise wie Frodo und Sam auf dem Weg zum Schicksalsberg, um kurze Zeit später melodisch ins römische Colosseum zu wandern, wo Russell Crowe als "Gladiator" den Tod seiner Familie rächen möchte. Die höchste Stufe dieses Kabinen-DJs hat sich die Mühe gemacht, die legendären Reden aus entsprechenden Klassikern als Audio-Datei auszuschneiden. So schwören Al Pacino und Sylvester Stallone die Mannschaft schon Minuten vor der Ansprache des eigentlichen Trainers ein: "Entweder bestehen wir jetzt als Team oder wir werden untergehen – als Einzelgänger!" Gänsehaut.
Der Malle-Urlauber: Seine Stärken liegen zweifellos eher in der Beschallung nach einem Sieg. Wenn der Gegner bezwungen ist, lässt sich zu seinen "Ballermann Hits" spielend leicht das Gehirn auf Durchzug schalten – und das Bier leert sich dabei wohl auch noch etwas zügiger. Sollte unser Malle-Urlauber sein Handy aber schon vor dem Spiel mit der Box koppeln, fliegen aus allen Ecken der Kabine die Fußballschuhe. Zu Liedern wie "Zeig doch mal Möpse" oder "Zehn nackte Friseusen" mag man vielleicht auf Temperatur kommen – aber doch eher mit Blick auf ein Flatrate-Sangria-Saufen als auf ein 90-minütiges Fußballspiel.
All die aufgezählten Typen werden in jeder Kabine einen schweren Stand haben. Als Kabinen-DJ ist man als großer Diplomat gefragt, der die verschiedenen Geschmäcker innerhalb der Truppe berücksichtigen muss. Er wird es nicht allen recht machen können, von diesem Anspruch sollte er sich direkt verabschieden. Herauskommt in den meisten Fällen ein kurioser Mix aus Klassikern, die man nicht nicht mögen kann wie beispielsweise "Thunderstruck" von AC/DC oder "Rollin" von Limp Bizkit, und einzelnen Liedern aus spezielleren Genres. Um die Nachwuchskicker bei Laune zu halten, rutscht dann vielleicht auch ein Song von der "187 Straßenbande" in die Liste. Und auch wenn Geschmäcker verschieden sind, wird es nicht ausbleiben, dass dabei wieder von einigen Spielern die Aufforderung folgen wird, dass alle, die dieser "Musik" etwas abgewinnen können, doch bitte geschlossen eine zweite Kabine im Geräteschuppen eröffnen sollten.
Joel Grandke, Buchautor und aktiver Amateurkicker aus Hamburg, spürt in seiner wöchentlich auf FUSSBALL.DE erscheinenden Kolumne der Faszination Amateurfußball nach. Stets mit einem Augenzwinkern.