Bayern-Juwel Alphonso Davies beweist mit seiner beeindruckenden Schnelligkeit, dass auch Abwehrarbeit spektakulär sein kann. In der Kreisliga gibt es sie auch: Die pfeilschnellen Kicker, die ihren Gegner auf zehn Metern locker 20 abnehmen. Das Problem dabei: Sobald sich der Ball an ihrem Fuß befindet, verstolpern sie ihren Vorsprung gern mal nach allen Regeln des Slapsticks. Die neueste Ausgabe der FUSSBALL.DE-Kolumne Amateur-Alltag.
" Alphonso Davies ist so schnell, der kann am 28. Dezember Geschenke kaufen gehen und ist vor Heiligabend damit fertig." (Fußball-Portal FUMS über Bayerns Neu-Entdeckung auf der Linksverteidigerposition)
Die fußballerischen Jahresrückblicke sind stets gespickt mit spektakulären Toren, Pässen und Kabinettstückchen aus dem Dribbling heraus. Besondere Defensivleistungen finden hier nur selten Platz. Eine nachdrückliche Bewerbung für entsprechende Sendezeit hat allerdings gerade das Bayern-Juwel Alphonso Davies geliefert. Beim Champions-League-Spiel am Mittwoch gegen Tottenham lief gerade die 72. Minute, als die Spurs mit einem aussichtsreichen Konter aufs Münchner Tor zurollten. Kurz vor dem Strafraum erhielt der glockenfreie Heung-Min Son den Ball, der sich schon vor seiner Annahme überlegt haben mag, wie er den Ball gleich an Manuel Neuer vorbeischieben wird. Am Ende lag es weder an Neuer, noch an seinem schwachem Abschluss, dass es dieser Aktion kein Tor entstand. "Speedy" Davies, der beim Rekordmeister jüngst vom offensiven Flügelspieler zum Außenverteidiger umgeschult wurde, hatte etwas dagegen. Nach einem atemberaubenden Sprint drängte er den verdutzten Son noch vor dessen Schussversuch ab und verhinderte so die Großchance. Diese Szene war nur die Krönung einer insgesamt bockstarken Leistung des 19-Jährigen, den man trotz der insgesamt holprigen Hinrunde der Bayern als Senkrechtstarter bezeichnen muss. Dabei sticht seine beeindruckende Schnelligkeit heraus. Würde ein Pierre-Emerick Aubameyang noch in der Bundesliga spielen, so hätte er in Davies wohl einen Kontrahenten auf Augenhöhe. Hohes Tempo allein genügt natürlich nicht, um ein herausragender Fußballer zu werden, doch auch seine fußballerischen Anlagen lassen vermuten, dass der Kanadier auf lange Sicht eine bedeutende Rolle im Spitzenfußball spielen kann. Nach der aktiven Zeit bliebe ihm dann immer noch die Möglichkeit, über den zweiten Bildungsweg als Schauspieler Karriere zu machen und als Stunt-Double der Superhelden-Serie "The Flash" einzuspringen.
Wie ein Zoo-Tiger im Käfig
"Leute, wenn ich jetzt auch noch Fußball spielen könnte, würde ich wohl kaum hier mit euch in der Kreisliga herumhühnern"
Auch in der Kreisliga lassen sich zahlreiche "Blitze" finden. Viele Teams haben ein oder zwei Jungs in ihren Reihen, die in beeindruckendem Tempo von null auf hundert beschleunigen. Sie gehören zu dieser Art von Spielern, vor denen der gegnerische Trainer eindringlich warnt – schließlich ist es eine Fähigkeit, die offensichtlich ins Auge springt und keiner weiteren Einschätzung eines professionellen Scouts bedarf: "Passt mir auf den Meyer auf, der ist brutal schnell. Da müssen wir bei langen Bällen hellwach sein!" Das Wort des Trainers in Gottes Ohr, aber: Viele Amateur-Abwehrreihen finden trotz eindringlicher Warnung kein Mittel dagegen. Der pfeilschnelle Meyer patrouilliert einfach entlang der Abseitslinie wie ein Zoo-Tiger entlang seines Käfigs. Und sollte einer seiner Mitspieler auch nur etwas zu viel Platz haben, schlägt er direkt Langholz – der Startschuss für Sportsfreund Meyer. Im Minutentakt überrennt er so die gegnerische Abwehrreihe, sodass er sich innerhalb von 90 Minuten eigentlich locker zum uneinholbaren Torschützenkönig aufschwingen könnte. Eigentlich. Das Problem: der Ball. Sobald sich dieser an seinem Fuß befindet, wird es zumeist abenteuerlich. Du kannst dir nämlich noch so viel Vorsprung heraussprinten: Wenn du in neun von zehn Fällen, in denen du mutterseelenallein aufs Tor zumarschierst, entweder über den Ball oder deine eigenen Beine stolperst, dann brauchst du dir vor dem Spiel auch nicht allzu viel Gedanken über deinen Torjubel zu machen. Dann hast du ganz andere Sorgen.
Es ist liegt in der Natur der Sportart, dass der Spielertyp "Forrest Gump" auf dem Fußballplatz wohl keine Weltkarriere durchläuft. Während Tom Hanks nach dem Fangen des Balls nämlich einfach nur noch geradeaus rennen musste, müssen Fußballer den Ball sowohl einigermaßen sauber führen als auch einigermaßen unfallfrei aufs Tor schießen. Diese zwei Umstände machen den scheinbar freien Weg aufs Tor für unsere "Kreisliga-Roadrunner" zu einem anspruchsvollen Hindernislauf, der meistens längs im Wassergraben endet. So viele Vorteile das hohe Tempo auch mit sich bringt, es gehört doch noch etwas mehr dazu, um langfristig aufzutrumpfen.
Linie rauf, Linie runter…
Es mag auch daran liegen, dass es die schnellen Kicker im Rausch der Geschwindigkeit besonders schwer haben, ihre Beine und ihr gesamtes Umfeld zu sortieren. Aus diesem Grund geben ihnen viele Trainer einen Halt: die Seitenauslinie. Als Flügelspieler kann sich unser Flitzer einfach orientieren. Er kann seine Schnelligkeit ausspielen und muss sich dabei nicht unnötig den Kopf darüber zerbrechen, wohin er läuft. Linie rauf, Linie runter. Linie rauf, Linie runter. Der volle Fokus kann in diesem Fall auf dem Ball liegen – was auch bitter nötig ist. Den Kopf muss erst dann wieder heben, wenn er an der gegnerischen Torauslinie angekommen ist, was allerdings auch nicht immer klappt. Nicht selten ist der letzte Ballkontakt so unsauber, dass der Flügelspieler völlig unbedrängt wie im Wahn aus dem Spielfeld rennt, da er den viel zu weit vorgelegten Ball doch nicht mehr rechtzeitig unter Kontrolle bekommt. Bitter, aber so ist die Kreisliga eben. Trainer und Mitspieler verzweifeln oftmals an dem inflationären Liegenlassen aussichtsreichster Angriffe. Wer seinen Umut äußert, muss aber mit einem gefährlichen Konter rechnen: "Leute, wenn ich jetzt auch noch Fußball spielen könnte, würde ich wohl kaum hier mit euch in der Kreisliga herumhühnern!" Wer will da widersprechen? In der Selbstreflektion ist unser Sprint-Ass deutlich treffsicherer als beim Abschluss vor dem gegnerischen Tor.
Hinzu kommt das Problem, dass Geschwindigkeit und Ausdauer zwei völlig verschiedene Paar Schuhe sind. Wer hohes Tempo auf den Rasen bringt, kann kräftemäßig dennoch genauso schnell am Ende sein wie der langsame Sechser der Altherren-Truppe, der kurzfristig aushelfen musste. Und wenn die Körner erstmal aufgebraucht sind, hilft dir auch dein Blitz-Antritt herzlich wenig. Dann bist du maximal noch der Schnellste bei der Frage, wer als nächstes ausgewechselt werden möchte. Zwischen heroischem Davies-Defensivverhalten mit anschließender Torverhinderung und verstolperter Großchance mit anschließender Auswechslung liegen am Ende halt nicht umsonst acht bis zwölf Ligen Klassenunterschied.
Joel Grandke, Buchautor und aktiver Amateurkicker aus Hamburg, spürt in seiner wöchentlich auf FUSSBALL.DE erscheinenden Kolumne der Faszination Amateurfußball nach. Stets mit einem Augenzwinkern.