Zweieinhalb Jahre nach dem Ende seiner Profi-Karriere und drei Tage nach seiner Wahl in den Aufsichtsrat der HSV Fußball AG hat Ex-Nationalspieler Marcell Jansen sein Comeback im Dress des Hamburger Traditionsvereins gefeiert. Allerdings nicht im Bundesliga-Team, sondern in der Oberliga-Mannschaft. Ein Platz in der Startelf war dem prominentesten Spieler der Stadtliga jedoch nicht vergönnt.
Es ist kalt an diesem Freitagabend in Hamburg. Sehr kalt sogar. Ein Plätzchen auf der Ersatzbank unter einer wärmespendenden Decke wäre gewiss auch für Marcell Jansen in diesen Momenten eine feine Sache. Doch der Schemel für die Reservespieler der dritten Mannschaft des Hamburger SV ist klein und längst besetzt, als der 45-malige deutsche A-Nationalspieler sein Aufwärmprogramm vor dem Oberliga-Duell seines neuen Teams mit dem FC Teutonia 05 beendet hat. Ein wenig verunsichert wirkend steht der langjährige Bundesliga-Profi neben der Bank und schaut sich von dort aus die ersten Minuten der Partie an. „Er muss sich hier erst einmal beweisen. Dann gibt es für ihn auch einen Platz“, ruft HSV-Manager Milenko Mutabdzija schmunzelnd. Privilegien oder einen Sonderstatus gesteht der Fünftliga-Aufsteiger dem Vize-Europameister von 2008 und WM-Dritten von 2006 und 2010 also nicht zu. Der 32-Jährige, der sich in der Winterpause zu einem Comeback im Amateurfußball entschlossen hat, schreitet kurzerhand gemeinsam mit Darwin Streubier, der ebenfalls nicht für die Anfangsformation nominiert wurde, zu einem DFB-Minispielfeld direkt neben dem Kunstrasenfeld und hält sich dort mit Stretching, ein paar Passübungen und Schüssen warm.
Jansen muss sich an diesem frostigen Abend – das Thermometer zeigt drei Minusgrade an – in Geduld üben. Obgleich er 242 Bundesliga-Einsätze auf dem Buckel hat, 2008 Deutscher Meister sowie DFB-Pokalsieger mit dem FC Bayern München wurde und 45 Mal für Weltmeister Deutschland spielte, ist er beim Tabellen-16. der Oberliga Hamburg zunächst nur Ersatz. Irritiert oder gar beleidigt ist der frühere Berufsfußballer deswegen aber nicht. „Ich habe jetzt, glaube ich, insgesamt sechs, sieben Mal mit den Jungs trainieren können, ich bin ja viel unterwegs. Die Jungs trainieren ja dreimal die Woche und sind auch fit. Von daher war das schon in Ordnung“, sagt der ehemalige Linksverteidiger nach der Begegnung. „Es macht trotzdem Spaß, es ist eine super Truppe“, lobt der 32-Jährige seine neuen Mitspieler. Gemeinsam mit diesen wird er von den HSV-Fans unter den rund 300 Zuschauern nach der Begegnung trotz der 2:4-Niederlage gefeiert. „Es passt hier einfach. Ich habe sozusagen mein Hobby zurückgewonnen“, sagt Jansen.
Harsche Kritik von Völler
"Es passt hier einfach. Ich habe sozusagen mein Hobby zurückgewonnen"
Bis vor zweieinhalb Jahren war dieses Hobby für den gebürtigen Mönchengladbacher noch sein Beruf. Von der Borussia, für die er von 1993 bis 2007 am Ball ist, wechselt er zum FC Bayern. Nach einem Jahr und dem Double beim Rekordchampion zieht es ihn weiter an die Elbe. Damals driften Anspruch und Wirklichkeit beim HSV noch nicht so weit auseinander wie heutzutage. Das Erstliga-Gründungsmitglied ist in Jansens Anfangsjahren hin und wieder sogar international vertreten, bevor die sportliche Misere des Klubs beginnt. In seiner letzten Saison im HSV-Dress geht es wieder einmal gegen den Abstieg. Jansen kann in der dramatischen Relegation gegen den Karlsruher SC (1:1 und 2:1 nach Verlängerung) nicht mithelfen. Eine Zerrung setzt ihn außer Gefecht. Hernach beendet er im Alter von nur 29 Jahren seine Profikarriere. Eine Entscheidung, die bei vielen Fans für Verwunderung sorgt und ihm vom früheren DFB-Teamchef Rudi Völler harsche Kritik einbringt. „Dafür habe ich kein Verständnis. Wer so etwas macht, hat den Fußball nie geliebt. Wenn einer so früh aufhört, ohne verletzt zu sein, dann ist das ein Schlag ins Gesicht für jeden Sportinvaliden oder Jugendlichen, der irgendwann mal Fußball-Profi werden will“, polterte der Sportdirektor von Bayer Leverkusen im ZDF.
Jansen aber hat zu diesem Zeitpunkt längst seine Karriere nach der Karriere vorbereitet. Er hat seit langem die Idee zu einer interaktiven Foto- und Video-App, die er nun umsetzen will. Aus dem vormaligen Profi-Fußballer Marcell Jansen wird der Geschäftsmann Marcell Jansen, der nicht nur besagte App („Picue“) auf den Weg bringt, sondern auch diverse andere Projekte unterstützt und mit ins Leben ruft. Der Fußball spielt im Leben des vormaligen Vollblut-Fußballers in diesen Jahren nur eine untergeordnete Rolle. Mal sieht man ihn beim Beachsoccer, mal bei einem Benefiz-Kick.
PR-Gag? Denkste!
Vor ein paar Monaten aber fängt es beim Ex-Nationalspieler, der seinen Lebensmittelpunkt auch nach dem Ende seiner Profikarriere in Hamburg hat, wieder an zu kribbeln. Er ist ohnehin mit dem HSV-Geamtverein durch verschiedene Tätigkeiten verbunden und wird gefragt, ob er nicht Lust habe, mal in der Oberliga-Mannschaft des e.V mitzutrainieren. Der 32-Jährige bejaht, macht ein paar Übungseinheiten mit und entschließt sich schließlich, seine „Buffer“ wieder vom berühmten Nagel abzuhängen. Er habe „richtig Bock“ darauf, sagte der 32-Jährige vor seinem Comeback.
Dass der Vize-Europameister und zweimalige WM-Dritte tatsächlich für den Oberliga-Abstiegskandidaten auflaufen wird, mag vor der Partie des Teams gegen Teutonia aber so recht kaum jemand in Hamburgs Amateurfußballszene glauben. Von einem „PR-Gag“ ist vereinzelt die Rede. Doch rund eine halbe Stunde vor dem Anpfiff des Spiels taucht Jansen tatsächlich gemeinsam mit seinen neuen Teamkameraden aus der Dunkelheit eines Nebenplatzes auf dem Kunstrasen auf und beginnt ein leichtes, ja, sehr leichtes Aufwärmprogramm. Der frühere Fußball-Star gibt sich inmitten der anderen HSV-Reservisten locker. Er ist bemüht, nicht aufzufallen. Doch die Schar an Medienvertretern, die an diesem Abend wegen ihm hier ist, zeigt, wem die Geschichte dieses Spiels gehören wird – unabhängig vom Ergebnis.
Einwechslung in der 77. Minute
Das Resultat ist zur Pause gut für die „Dritte“ des HSV. Der Abstiegskandidat geht gegen den Tabellenzweiten um seine deutschen Futsal-Nationalspieler Onur Saglam, Stefan Winkel und Danijel Suntic mit einem 0:0 in die Kabine. Jansen kickt in der Halbzeit fröhlich ein wenig rum – so wie es Tausende andere Amateurfußballer jedes Wochenende zwischen den Spielhälften auch tun. Kurz vor dem Wiederanpfiff steht er sogar im Tor und wehrt ein paar Schüsse mehr oder weniger gekonnt ab. Bald darauf aber vergeht ihm und seinen Mannschaftskollegen das Lachen. Teutonia geht mit 2:0 in Front. Doch die Hausherren bäumen sich auf. Sie können auf 1:2 verkürzen, und bald darauf ertönt aus dem Mund von Trainer Marcus Rabenhorst der Ruf, auf den wohl fast alle anwesenden HSV-Fans gewartet haben: „Cello“. Jansen also soll nun Musik reinbringen.
In der 77. Minute kommt der Vize-Europameister von 2008 für Timo Trefzger in die Partie. 180 Sekunden später bereitet der 32-Jährige den Ausgleich indirekt vor. Seine Flanke wird zur Ecke abgewehrt, die anschließend zum 2:2 führt. Kurz darauf besitzt Jansen per Kopf gar die Chance, seine Farben in Front zu bringen. Er vergibt sie. Statt mit einem Traum-Debüt endet sein Comeback unglücklich. Der Gast kontert zweimal wie aus dem Lehrbuch und siegt 4:2. „Das ist Fußball. Es sollte heute nicht sein“, sagt Jansen nach dem Abpfiff. Und einem wie ihm, der den Abstiegskampf von den HSV-Profis kennt, kann so eine unglückliche Pleite ohnehin nichts mehr anhaben. „Ich denke, dass das Potenzial auf jeden Fall da ist, um die Klasse zu halten. Ansonsten steigen wir halt nächstes Jahr wieder auf“, sagt Jansen trotzig.