Chelsea oder Arsenal: Wer in London Top-Fußball und Super-Stars sehen möchte, hat die Qual der Wahl. Mit fünf Klubs ist die britische Weltmetropole allein in der glitzernden Premier League vertreten, in den ersten vier englischen Profiligen tummeln sich sogar 14 Vereine vom Big Ben. Doch auch im Schatten von Wembley, Emirates oder der Stamford Bridge wird im so dicht bebauten London überall dort gekickt, wo Platz für einen ordentlichen Rasen ist – zum Beispiel in Chelmsford, Harlow oder Crayford. Dort hat Niklas Freund, Sohn von Europameister Steffen, schon überall gespielt – die neueste Folge unserer Serie Familienbande.
Tottenham, die White Hart Lane. Auch so eine Kultstätte des englischen Fußballs. Von 1999 bis 2003 hat Steffen Freund hier jeden Grashalm umgepflügt, ein Jahrzehnt später war der Europameister von 1996 noch einmal als Co-Trainer und Technischer Koordinator für die „Spurs“ tätig. Während der 46-Jährige inzwischen wieder nach Deutschland gezogen ist und in Potsdam lebt, ist sein Sohn Niklas in London geblieben.
Geboren ausgerechnet in Gelsenkirchen, als Papa Steffen noch in Dortmund beim BVB spielte, lebt Niklas Freund seit seinem vierten Lebensjahr mit kurzen Unterbrechungen auf der Insel. „Ich habe zwar einen deutschen Pass, sehe aber England inzwischen als meine Heimat an“, sagt der 22-Jährige und erklärt grinsend: „Hier fühle ich mich wohl und mein englisches Vokabular ist inzwischen besser als mein deutsches. Mit dem Wetter und dem Essen muss man sich halt arrangieren.“
BWL-Studium in Greenwich
"In England steckt unglaublich viel Geld im Fußball, auch bei Amateurvereinen"
Mit seiner deutschen Freundin Constanze wohnt Niklas Freund in Stratford in der Nähe des für die Sommerspiele 2012 neu gebauten Olympiastadions im Nordosten Londons. Zum Fußball und zur Uni – in Greenwich studiert er BWL – fährt er mit der U-Bahn. Fußball ist für den Sohn des 21-fachen deutschen Nationalspielers zwar mehr als nur ein Hobby, aber nicht mehr als ein Teilzeitjob. „Wie so viele Jungs habe auch ich früher davon geträumt, Fußballprofi zu werden, aber das ist natürlich unrealistisch“, weiß Niklas Freund. „Mein Uniabschluss genießt oberste Priorität und mit meinem Sport kann ich ein wenig Geld nebenbei verdienen.“
Während Steffen Freund vielen Fußballfans auch heute noch vor allem als leidenschaftlicher Kämpfer gut in Erinnerung ist, hat sein Sohn auf dem Platz einen ganz anderen Weg eingeschlagen – er ist Torwart. „Das hat sich eher zufällig ergeben, weil die Mannschaft eines Freundes von mir damals einen Torwart brauchte. Ich habe es ausprobiert und bin heute dabei geblieben“, verrät Niklas Freund. „Ich habe auch relativ spät angefangen, mich so richtig für Fußball zu interessieren und mich erst mit acht Jahren meinem ersten Verein angeschlossen.“
Das war damals schon in England, bei den Hadley Wood Rangers, einem Amateurklub im Norden Londons. In der B-Jugend, als die Familie wieder nach Deutschland gezogen war und Papa Steffen verschiedene Nachwuchsteams des DFB trainierte, schaffte es Niklas Freund mit dem Berliner SC zwar bis in die U 17-Regionalliga, aber: „Bis heute habe ich nie auf richtig professionellem Niveau gespielt.“
Zahlreiche Vereinswechsel
Zurück in England, durchlief der Keeper im Seniorenbereich verschiedene Londoner Klubs von der sechsten bis zur achten Liga. In Deutschland wäre das, je nach Landesverband, Landes- bis Kreisliga. „In England steckt unglaublich viel Geld im Fußball, auch bei Amateurvereinen, die allein schon durch die Teilnahme am FA-Cup gutes Geld einnehmen können“, bemerkt Niklas Freund. „Mein jetziger Verein, der VCD Athletic Football Club, spielt hier zwar nur in der achten Liga, das sportliche Niveau würde ich aber mit der deutschen Ober- oder Verbandsliga vergleichen.“
Deutsche Torhüter genießen im mit Klasse-Keepern nicht wirklich gesegneten englischen Fußball seit jeher einen guten Ruf. In Weltmeister Ron-Robert Zieler vom amtierenden Sensationsmeister Leicester City und Loris Karius vom Klopp-Klub Liverpool sind aktuell zwei deutsche Keeper in der Premier League beschäftigt. Einem jungen deutschen Torwart in einem englischen Amateurklub bringt das allerdings nicht viel. „Da ist es egal, wo du herkommst. Auch als junger Torwart wirst du ins kalte Wasser geworfen und musst dich durchsetzen“, berichtet Niklas Freund und führt aus: „In England wird definitiv körperbetonter als in Deutschland gespielt, darauf musst du dich vor allem als Torwart einstellen. Da bist du im Fünfmeterraum für die Gegenspieler nicht automatisch tabu, sondern kannst nicht damit rechnen, dass abgepfiffen wird, wenn es dort einen Kontakt gibt.“
Weil er sich in seinen Lehrjahren im rauen englischen Amateurfußball ein wenig mehr Rückendeckung von seinen Trainern gewünscht hätte und oft nur Ersatzmann war, hat er in den vergangenen Jahren öfter den Verein gewechselt. Teilweise war er sogar nur ein, zwei Monate leihweise bei einem Klub, machte zwar überall wertvolle Erfahrungen, kam aber nirgendwo so richtig an. So ähnlich erging es seinem Vorbild Kasper Schmeichel auch lange in England. Der Däne durfte sich zwar als 18-Jähriger schon bei Manchester City präsentieren, hatte dort aber keine Chance und arbeitete sich über kleine Klubs in der dritten und vierten Liga nach oben. Die Belohnung für Schmeichel war in diesem Frühsommer die Meisterschaft mit Leicester City.
Dass er noch eine ähnliche Karriere hinlegen wird, hat sich Niklas Freund abgeschminkt. Deshalb muss der Fußball zum Jahresende bei ihm auch mal eine Pause einlegen, auch wenn in England am Boxing Day und auch an Silvester um Punkte gespielt wird. Über Weihnachten ist Niklas Freund bei seiner Familie in Potsdam, der VCD Athletic Football muss am zweiten Feiertag in der Ryman Football League gegen Tilbury ohne seinen jungen deutschen Keeper bestehen.
Autor/-in: Heiko Buschmann