Karsten Wettberg könnte es so machen wie viele Fußballfans in seinem Alter: Wochenende für Wochenende Eintritt zahlen, ein Würstchen essen und dann über die eigene Mannschaft mosern. Doch daran hat Wettberg kein Interesse. Er macht das, was er schon seit 47 Jahren macht: Wettberg trainiert Fußballer - aktuell den niederbayrischen Bezirksligisten ATSV Kelheim.
"Am liebsten würde ich da drei Einheiten pro Woche anbieten, aber das stört die Spielerfrauen", sagt der 73-Jährige und schmunzelt. Mannschaften zu analysieren, Fußballer zu fördern, mit anderen Trainer zu fachsimpeln - das alles braucht Wettberg.
1967 begann seine große Leidenschaft. Damals suchte der TSV in seinem Wohnort Elsendorf einen Spielertrainer. Wettberg übernahm das Team und machte sich in der Region auch schnell einen Namen. Mittlerweile ist der gebürtige Brandenburger auch außerhalb Niederbayerns bekannt. Dafür sorgt seine eindrucksvolle Trainervita: Acht Mal Bayrischer Meister, fünf Qualifikationen für den DFB-Pokal und einen Aufstieg in die eingleisige Regionalliga - das ist nur ein kurzer Auszugs aus Wettbergs Erfolgsgeschichte.
Spitzname durch den OB
"Ich bin nun mal nicht der geborene Diplomat"
Seinen größten Coup landete er 1991. Damals führte Wettberg den TSV 1860 München aus der Bayernliga in die Zweite Bundesliga. Mehr als 10.000 Fans feierten die Mannschaft auf dem Marienplatz. Der damalige Münchner Oberbürgermeister Georg Kronawitter ernannte Wettberg kurzerhand zum "König von Giesing". Damit hatte der Erfolgstrainer seinen Spitznamen. Diesen ist er bis heute nicht losgeworden ist. Wettberg gehört bei den "Löwen"-Fans weiterhin zu den großen Idolen. Dass er auch mal Leuten in der Vorstandsetage die Meinung sagt, kommt an. "Ich bin nun mal nicht der geborene Diplomat", gibt Wettberg zu.
Eigentlich hat er sogar Hausverbot an der Grünwalder Straße. "Das wurde einmal nach einem Streit ausgesprochen und nie mehr aufgehoben", sagt Wettberg. Trotzdem ist er häufig bei Sechzig zu Gast. Auch der Spielvereinigung Unterhaching stattet Wettberg regelmäßig einen Besuch ab. Den Verein aus dem Münchner Süden führte er ebenfalls schon in die Zweite Liga. 1989 feierten die Hachinger den damals größten Erfolg der Vereinsgeschichte.
200 Liegestützen täglich
Momentan hat Wettberg aber weniger Zeit für 1860 und Unterhaching. Schließlich verfolgt er mit Kelheim große Ziele. 2013 übernahm Wettberg das Team und wurde prompt Kreisliga-Meister. Als Aufsteiger nur den Klassenerhalt als Ziel auszugeben, das war dem Erfolgstrainer vor Saisonbeginn zu wenig. "Das Team hat einfach großes Potenzial", betont Wettberg. Platz zwei, der die Teilnahme an der Aufstiegsrunde bedeutet, ist für die Kelheimer weiterhin in Sichtweite.
Der ATSV hat eine junge Mannschaft, die meisten Spieler könnten Wettbergs Enkel sein. Für den Trainer ist dieser große Altersunterschied jedoch kein Problem. "Wichtig ist nur, dass man sich ständig weiterbildet und den Jungs nicht die alten Geschichten von früher erzählt", sagt Wettberg. Als Trainer gehört für ihn auch die nötige Fitness dazu. 200 Liegenstützen dazu 30 Kilometer auf dem Fahrrad - so lautet sein tägliches Programm. "Bis vor sieben Jahren habe ich auch immer bei Fünf gegen Zwei mitgemacht. Das geht nun aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr", erklärt Wettberg.
Er trägt mittlerweile eine Metallplatte im Rücken. Andere hätten sich nach so einem Eingriff zurückgezogen. Nicht so Wettberg. Er ist ein Kämpfertyp, der auch in seiner Trainerkarriere schon viele Rückschläge weggesteckt hat. So wie damals bei der SpVgg Landshut. Der Verein wurde bayrischer Meister, beantragte aber keine Lizenz. Somit durfte das Team 1986 nicht an der Aufstiegsrunde zur Zweiten Liga teilnehmen. Die Teilnahme an der Amateurmeisterschaft war ein schwacher Trost. "Da waren wir mit der Mannschaft in Berlin. In einem Taxi hat uns der Fahrer gefragt, wo wir denn herkommen. Als wir mit Landshut geantwortet haben, kam nur der Kommentar: 'Ach ihr seid die ohne Lizenz'", erzählt Wettberg.
Sonderurlaub dank Seehofer
Heute kann er darüber lachen. Schließlich kamen noch einige Aufstiegsfeiern dazu. Wenn Wettberg seine eigene Laufbahn betrachtet, stört ihn eigentlich nur, dass seine Zeit im Profigeschäft sehr kurz war. Aber er wollte nun mal auch seinen Beruf nicht aufgeben. Der Familienvater arbeitete als Postoberamtsrat, auch als Zweitligacoach blieb er im Dienst. "Volker Finke hat sich gewundert, als ich ihm erklärt habe, dass ich noch arbeitete. Der konnte das gar nicht glauben", erzählt Wettberg über ein Gespräch mit dem damaligen Coach des SC Freiburg. Immerhin: Wettberg bekam pro Woche zwei Tage Sonderurlaub. Bayerns amtierender Ministerpräsident Horst Seehofer, damals noch Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, setzte sich dafür ein.
Vor einem Jahrzehnt ging Wettberg in Pension. Doch der Fußball-Ruhestand ist noch lange nicht in Sicht. "Warum soll ich mich damit beschäftigen? Fußball ist schließlich mein Lebenselixier" sagt Wettberg.