Wenn man auf FUSSBALL.DE nach Vereinen in der knapp 50.000-Einwohner-Stadt Wittenberg sucht, wird man schnell fündig. Klubs wie der FC Grün-Weiß Piesteritz, SV Graf Zeppelin 09 oder SV Einheit Wittenberg zeugen von einer gesunden und bunten Vereinslandschaft. Einer Gruppe junger Fußballer reichte diese Auswahl allerdings noch nicht. Sie gründeten mit dem FC Victoria Wittenberg 2014 einen neuen Verein. Warum, das erklärt Präsident Thomas Pielorz im Interview auf FUSSBALL.DE.
Herr Pielorz, wie kommt man auf den Gedanken in einer Stadt mit schon recht lange bestehenden Fußballstrukturen einen neuen Verein zu gründen?
Thomas Pielorz: Ich hatte über ein Jahr lang das Glück jungen Menschen intensiv zuhören zu dürfen, ohne dass ich selbst viel sagen musste. Der Freundeskreis meines 25-jährigen Sohnes, der selbst einmal Fußball gespielt hat, aber wegen zwei Kreuzbandrissen nicht mehr aktiv sein konnte, war sehr oft Gast bei uns zu Hause. Das waren zwölf bis 15 Leute. Viele kannten sich aus gemeinsamen Zeiten in Wittenberger Nachwuchsmannschaften. In den Gesprächen kam zum Ausdruck, dass fast alle aus unterschiedlichen Gründen die Lust am Fußball verloren hatten. Die Mehrzahl der Jungs sind Studenten. Es blieb ihnen zu wenig Zeit für Fußball. Irgendwann fragte ich die Jungs, was sie sich vorstellen, um wieder Lust und Spaß am Fußball zu bekommen. Mein Sohn Björn meinte daraufhin: ‚Wir würden gern einmal etwas Eigenes machen.’“
Aus zwölf Leuten wurden 20
Wie ging es dann weiter? Wurde gleich vor Ort der FC Victoria gegründet?
Pielorz: Nein, nicht gleich. Dieses Gespräch war im Dezember 2013. Ich sagte den Jungs, dass ich den Gedanken sehr gut finde. Aber bevor wir das ernsthaft betreiben und ich mir dazu weitere Gedanken machte, wollte ich zwei bis drei Monate später hören, was andere Freunde dazu sagen. Im März dieses Jahres haben wir uns dann wieder getroffen. Aus den elf, zwölf Leuten waren plötzlich 20 geworden.
"Es sieht gut aus, vielleicht schon im Gründungsjahr unseren ersten Aufstieg zu schaffen"
Welche Hürden gab es bei der Vereinsgründung zu überwinden?
Pielorz: Zur Gründung eines Vereins hatte ich schon in der Vergangenheit etwas Erfahrungen gesammelt, so brachte ich in Wittenberg einige Kulturvereine zum Laufen. Also war mir schon bewusst, dass da viel Arbeit auf uns warten würde. Wir schafften aber alles gemeinsam, mit hohem Aufwand und intensivem Wirken.
Wobei gab es die größten Probleme?
Pielorz: Was wir alle unterschätzt hatten, war die Aufgabe eine geeignete Sportstätte zu finden. Unser absoluter Favorit war das Arthur-Lambert-Stadion inmitten der Stadt, es liegt nur drei Minuten von der Stadtmitte entfernt. Doch in diesem Stadion wurde seit mehr als 20 Jahren kein Fußball mehr gespielt und es wurde bislang nur durch die Abteilung Leichtathletik der TSG Wittenberg genutzt. Der Verein mit über 500 Mitgliedern gehört zu den größten Sportvereinen der Stadt. Und die wollten keine Fußballer.
Wie konnte die künftige Sportstätte „erobert“ werden?
Pielorz: Es war schon ein schweres Unterfangen, die Gewohnheiten bei der TSG Wittenberg zu überwinden. Einige wollten uns Kicker mit den damit verbundenen „Nebenerscheinungen“ nicht. Andere waren der Meinung, dass junge Leute die Sportstätte aufwerten könnten und die Anlage nun besser genutzt werden würde. Wir fanden recht schnell einen Kompromiss. Zunächst bekamen wir eine „Duldung auf Zeit“. Dafür mussten wir eine Miete pro Trainings- und Wettkampfstunde von zirka 20 Euro zahlen. Für den angemessenen Preis durften wir alles nutzen. Jetzt haben wir den Stand, dass der nun neugewählte TSG-Vorstand mit uns über einen Vertrag zu einer längerfristigen Nutzung des Stadions verhandeln soll. Konkret wird es im Januar 2015.
Was war eigentlich der Grund dem Verein den Namen Victoria zu geben?
Pielorz: Die Jungs hatten von Beginn an den Wunsch unbedingt einen eigenständigen Fußballclub, sprich FC, zu gründen. In ihm sollte ausschließlich Fußball gespielt werden und keine größeren Strukturen mit mehreren Sektionen geschaffen werden. Also kein Mehrspartenverein. Sie haben dann einige Zeit recherchiert und kamen zu dem Ergebnis, dass es in Wittenberg tatsächlich einmal einen FC Victoria gab. Der wurde 1907 gegründet. Wichtig war, dass es damals eben möglich war, unseren geliebten Sport mit Freunden und Kumpels zu spielen. Und nichts anderes zählte. Keiner musste schauen, ob der eine mehr oder weniger bekam, denn sie hatten alles nichts weiter als die Lust am Fußball. Es war eben noch alles ursprünglicher in dieser damals noch jungen Sportart in Deutschland. Die Jungs wollten die damals wichtigen Werte wie Respekt, Loyalität, Teamgeist, Disziplin und Leidenschaft einbringen, die schließlich im heutigen Ehrenkodex des Vereins verankert sind.
Welche sportlichen Ziele verfolgt der Verein?
Pielorz: Es fiel uns natürlich nicht leicht, diese zu formulieren. Wir haben im Team weit mehr als zehn Spieler, die bereits Landesklasse oder höher gespielt haben. Einige sogar schon Oberliga. Andererseits studieren viele Jungs in Leipzig, Magdeburg, Halle oder anderswo. Einer kommt sogar aus Kiel. Die Jungs stehen vor der Aufgabe, Ausbildung und Beruf mit dem Hobby Fußball sinnvoll zu verbinden. Das machte das Festzurren sportlicher Ziele für sie nicht einfach. Die ganze Sache soll ja möglichst ohne großen Druck vonstattengehen. Aber natürlich wollen wir recht schnell die unterste Ebene verlassen. Im Moment sind wir in der Kreisliga Nord Tabellenführer und es sieht gut aus, vielleicht schon im Gründungsjahr unseren ersten Aufstieg zu schaffen.
Sie sind Präsident und Trainer in Personalunion. Wie passt das?
Pielorz: Das ist eigentlich nur eine Momentaufnahme. In der Trainerfrage entwickelt sich schon etwas. Ich habe mich am Anfang dazu bereit erklärt, weil kein anderer da war. Wir gehen da auch andere Wege. Im Kader stehen einige gut ausgebildete Spieler, die bestimmte Trainingsinhalte übernehmen. Mein Sohn Björn trainiert mit einigen Führungsspielern die Mannschaft. Die Art und Weise des Trainings sowie die Trainingsinhalte werden mit mir abgestimmt. Das passt eigentlich sehr gut. Sozusagen trainieren sich die Jungs in Eigenregie. So wie sie auch große Teile der Arbeit, die ein Präsidium eben zu bewältigen hat, in Selbstinitiative übernehmen. Dazu ist die tägliche Kommunikation sehr wichtig. So sind wir auf eine lockere Art und Weise sehr ordentlich organisiert. Selbst die Frauen, Freundinnen oder Lebensgefährtinnen sind mit eingebunden.
Den Nachwuchs im Visier
Gibt es zukünftig auch Nachwuchsfußball beim FC Victoria?
Pielorz: Natürlich haben wir auch den Punkt Nachwuchsarbeit im Visier. Allerdings sind uns da einige Vereine der Stadt wie der FC Grün-Weiß Piesteritz und Einheit um Einiges voraus. Auch im Umland wird eine sehr gute Nachwuchsarbeit geleistet. Allerdings gefällt nicht allen Eltern der Status ihres kickenden Sohnes. Deshalb sind wir, wenn wir vielleicht eine E-Jugend installieren, sicherlich für einige Jungs eine Alternative. Momentan haben wir allerdings dazu nicht die nötige Manpower. Hierfür braucht man ganz einfach gut ausgebildete Trainer mit dem notwendigen Schein dazu. Den Jungs würde es nicht gefallen, wenn wir den Nachwuchsfußball nur halbherzig betreiben. Wenn der Zeitpunkt da ist, werden wir es tun.
Wie finanziert sich der FC?
Pielorz: Ganz wichtig sind die Mitgliedsbeiträge. Da gibt es kein Erbarmen. Wer nicht zahlt, der fliegt. Der monatliche Beitrag von acht Euro, den die Jungs selbst festgelegt haben, ist recht üppig, aber auch notwendig. Das Geld geht ja nicht verloren, es finanziert unser geliebtes Hobby. Natürlich gehören in der heutigen Zeit auch Sponsoren dazu. Ohne diese funktioniert es nicht. Sonst müssten wir den Mitgliedsbeitrag um das Dreifache erhöhen. Es sind ja nicht nur die Trikots und Fußballschuhe, die gekauft werden müssen. Hinzu kommen die Platzmiete, Verbandsabgaben, Versicherungen, Schiedsrichterkosten und einiges andere. Und deshalb haben auch wir natürlich Sponsoren. Dabei machten es sich die Jungs zur Regel, dass Sponsoren anderer Vereine grundsätzlich nicht angesprochen werden. Zudem gibt es keine Zuschüsse oder Fahrgelder für unsere Spieler. Wenn unser Sebastian aus Kiel kommt - übrigens einer unserer besten Spieler - dann muss er es selbst finanzieren. Andere kommen aus Berlin oder Frankfurt am Main. Da werden alle gleich behandelt. Wenn einer aus finanziellen Gründen nicht anreisen kann, dann ist es eben so, dann spielt eben ein Anderer.
Autor/-in: Roland Hebestreit